Memorandum of Disagreement
Zur Vorbereitung einer neuen Olympiabewerbung und -kampagne, an der sich Hamburg gemeinsam mit anderen deutschen Städten und Regionen beteiligen soll, drängen verschiedene Lobbygruppen den Senat, bis zum 2. Dezember ein sogenanntes Memorandum of Understanding (MoU) mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zu unterzeichnen. Mit diesem angeblich unverbindlichen Dokument soll die Bereitschaft erklärt werden, eine Bewerbung für die Spiele 2036 oder später mitzutragen und zu unterstützen. Über den genauen Inhalt schweigt sich der Senat auch in der Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 30.10.2023 (Drs. 22/13289) aus.1
Angesichts der mehrheitlichen Absage der Hamburger*innen an eine Olympiabewerbung im November 2015 begründen der DOSB und andere Interessierte den erneuten Vorstoß mit den geänderten Voraussetzungen, die sich durch den "Reformprozess" des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ergeben hätten.
Ein kritischer Blick auf die Strukturen und Geschäftspraktiken des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zeigt jedoch, dass trotz Reformversprechen keine grundlegenden Veränderungen stattgefunden haben. Die "Olympic Agenda 2020" sowie deren Upgrade, die "Olympic Agenda 2020 + 5", erscheinen eher als Marketinginstrumente, um die Marktfähigkeit der Olympischen Spiele zu sichern und auszubauen. Der Dialogprozess des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ist in diesem Zusammenhang letztlich als verkappte Werbekampagne zu sehen. Eine Nachhaltigkeit der Olympischen Spiele ist angesichts des - trotz aller angeblichen Einsparungen - immensen Verkehrsaufkommens und der Baumaßnahmen sowie angesichts der Klimakatastrophe unmöglich. Die Eignung von Olympia als städtisches Infrastrukturprogramm oder zur Förderung umweltfreundlichen Nahverkehrs wird von den meisten Expert*innen verneint. Stattdessen drohen unkalkulierbare und enorme Kosten, der Nutzen für den Breitensport ist bestenfalls begrenzt und mögliche Aktivierungseffekte sind erfahrungsgemäß von kurzer Dauer.
Wir fordern den Senat auf, das Memorandum of Understanding mit dem DOSB nicht zu unterzeichnen bzw. die Unterschrift zurückzuziehen!
Das auf unrealistischen Vorstellungen beruhende Vorantreiben einer deutschen Olympiabewerbung muss ein Ende haben, bevor dafür weiter sinnlos Geld und Mühe vergeudet werden!
In Anbetracht der oben zusammengefassten, unverändert weiter bestehenden Probleme gibt es für eine solche Vereinbarung keine legitime Grundlage.
Die Gründe, die zur mehrheitlichen Ablehnung einer Bewerbung im Referendum 2015 geführt haben, bestehen fort.
Sich darüber hinwegzusetzen, insbesondere ohne vorherige Konsultation oder gar Information der Bürgerschaft und der Öffentlichkeit, ist absolut inakzeptabel.
Hamburg, November 2023
NOlympia Hamburg und Fairspielen
Anmerkungen
1. Inzwischen wurde bekannt, dass der Senat am 21.11. die Unterzeichnung des Memorandums of Understanding mit dem DOSB beschlossen hat.
Das unterzeichnete Memorandum of Understanding befindet sich im Hamburger Transparenzportal.
Unterstützende:
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Zur Vertiefung:
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Weder die Strukturen noch die Geschäftspraktiken des IOC haben sich grundlegend geändert.
Die als Reformpapier gehandelte "Olympic Agenda 2020" ist ebenso wie ihr Upgrade "Olympic Agenda 2020 + 5" ein reines Marketinginstrument, um die Marktfähigkeit des Produkts Olympia zu erhalten und auszubauen. Die Schlagworte "Nachhaltigkeit" und "Transparenz" geistern bereits seit über zehn Jahren folgenlos durch die Kampagnen des IOC.
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Mit dem IOC lässt sich nicht auf Augenhöhe verhandeln.
Erst kürzlich hat IOC-Präsident Thomas Bach noch einmal deutlich gemacht, dass eine Olympiabewerbung nur nach den Regeln des IOC erfolgen kann. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Austragungsorte hängen vom Gutdünken des Olympia-Monopolisten und seiner Geschäftspartner ab. Es bleibt bei der weitgehenden Abtretung von Rechten, demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten und nicht zuletzt öffentlichem Raum an die Verwertungsinteressen einer Handvoll Großkonzerne.
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Der Dialogprozess des DOSB ist eine verkappte Werbekampagne!
Um der skeptischen Öffentlichkeit eine Olympiabewerbung schmackhaft zu machen, betreibt der DOSB derzeit eine Kampagne mit dem Titel "Deine Spiele". Mit einmaligen "Dialogforen" in verschiedenen Städten soll Bürgerbeteiligung simuliert werden. Tatsächlich handelt es sich um durchchoreografierte Werbeveranstaltungen, bei denen zufällig vorbeikommende Interessierte bestenfalls Fragen stellen dürfen. Organisiert werden die Shows von der gleichen Sportmarketing-Agentur, die auch für die Hamburger Olympia-Kampagne 2015 verantwortlich war - und offenbar auch das IOC bei der Vermarktung seines "Reformprozesses" berät. Nicht zuletzt aufgrund der recht selektiven Einladungspolitik des DOSB, die sich vor allem an verbandsnahe Kreise richtete, blieb das Interesse bislang überschaubar - in Hamburg fand sich allenfalls eine zweistellige Zahl von Personen ein. Trotzdem bewirbt der DOSB die "Foren" als Öffentlichkeitsbeteiligung - das ist ebenso unredlich wie durchsichtig.
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Olympische Spiele sind unter den gegebenen Bedingungen nie nachhaltig.
Angesichts der sich abzeichnenden Klimakatastrophe verbieten sich derartige gigantomanische Projekte. Der erforderliche Neu- und Ausbau von Sport- und Trainigsstätten sowie der erforderlichen, nur für das Event brauchbaren Infrastruktur kann nicht durch irgendwelche symbolische Baumpflanzungen kompensiert werden. Eine verteilte Bewerbung mag an der einen oder anderen Stelle Bauaufwand einsparen, führt aber auch zu einem enormen Verkehrszuwachs, nicht nur durch den riesigen Olympischen Tross, sondern auch durch die zahlreichen Besucher*innen.
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Olympia ist kein Infrastrukturprogramm!
Darauf weisen Stadtentwicklungsexpert*innen seit Jahren hin: Es ist eine Illusion, marode städtische Sport- und Verkehrsinfrastruktur durch ein Großereignis wie die Olympischen Spiele sanieren zu wollen. Olympiaprojekte müssen unter Zeitdruck und nach den Vorgaben des IOC geplant und umgesetzt werden. Dadurch werden sie überproportional teurer und haben, wenn überhaupt, nur einen begrenzten Zusatznutzen. Das zeigen nicht nur theoretische Studien, sondern auch alle Erfahrungen der letzten Jahrzehnte.
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Olympia ist kein Booster für umweltfreundlichen Nahverkehr!
Um im Rahmen eines über mehrere Städte verteilten Großevents überhaupt so etwas wie einen nachhaltigen Personenverkehr zu ermöglichen, müsste die über Jahrzehnte vernachlässigte Bahninfrastruktur massiv aus- und umgebaut werden – der Hamburger Hauptbahnhof zum Beispiel kann schon jetzt das alltägliche Verkehrsaufkommen kaum bewältigen.
Ein Ausbau der Bahn ist ohnehin unumgänglich, würde aber hauptsächlich auf Olympia ausgerichtet unter völlig falschen Voraussetzungen erfolgen:
- Strecken zu und zwischen den Austragungsorten würden umproportional bevorzugt.
- Der Ausbau müsste sich hier an den zu erwartenden Spitzenbelastungen einer sechswöchigen Veranstaltung orientieren und wäre damit (wie bei olympischen Bauprojekten üblich) überdimensioniert.
- Neu- und Ausbauten würden, ausgerichtet auf das Scheinwerferlicht eines international wahrgenommenen Großevents, in hochglanzpolierten Luxusvarianten mit unverhältnismäßig hohem Mitteleinsatz erfolgen.
- Nicht die Bedürfnisse der Reisenden und die Erfordernisse eines flächendeckenden Nahverkehrs würden die Konzepte bestimmen, sondern der Zeitdruck und die Konzentration auf bestimmte Strecken. Dadurch würden ohnehin vernachlässigte Regionen weiter vom Nahverkehr abgekoppelt.
- Strecken zu und zwischen den Austragungsorten würden umproportional bevorzugt.
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Die Kosten für Olympia sind weiterhin riesig und unkalkulierbar!
Daran ändert auch der scheinheilige Reformprozess nichts: Olympia ist das teuerste Projekt überhaupt. Zeitdruck und die Gewinnerwartungen der "Olympic Partner" genannten Sponsorenkonzerne lassen die Kosten zwangsläufig und letztlich unkalkulierbar steigen. Laut IOC-Chef Bach waren die Spiele in Tokyo die ersten, die voll im Einklang mit der "Reformagenda 2020" standen. Laut dem Statistikportal Statista waren es auch die teuersten Spiele aller Zeiten.
Selbst wenn der Ressourcenverbrauch durch die Nutzung vorhandener Einrichtungen gesenkt werden kann, gilt: Weniger zu viel ist immer noch zu viel! -
Olympia bringt dem Breitensport nichts!
Immer wieder wird in den Olympischen Werbetexten von den Wundern gesprochen, die das Ereignis für die Sporttreibenden im Land bewirken soll. Das ist Unsinn: Der Ausbau von Sport- und Trainingsstätten richtet sich nach den Bedürfnissen der Weltspitze, die ganz andere Anforderungen stellt als die Masse der Feierabendsportler*innen. Die Mittel, die für Luxusanlagen ausgegeben werden, fehlen dann für den Bau und die Instandsetzung von Anlagen für den Breitensport.
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Auch die immer wieder beschworene Sportbegeisterung, die Olympia in breiten Kreisen auslösen soll, ist ein Mythos.
Untersuchungen aus der Vergangenheit zeigen: Aktivierungseffekte sind immer nur von kurzer Dauer. An Begeisterung mangelt es ohnehin nicht, die Begeisterten haben nur kaum Gelegenheit, ihren Sport auszuüben.
Das gilt auch für die so genannten Randsportarten, die zwar während und kurz nach den Spielen eine kurze Aufmerksamkeit erfahren, aber schon bald wieder mit den populären Sportarten um die wenigen geeigneten Sportstätten konkurrieren müssen.
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Die meisten Menschen haben von der Ausrichtung Olympischer Spiele nichts!
Olympia in der eigenen Stadt ist etwas ganz anderes als im Fernsehen. Nicht die Nähe zu Spitzensportereignissen ist spürbar, sondern drastische Sicherheitsmaßnahmen, übermäßiges Verkehrsaufkommen und die Unterwerfung ganzer Stadtteile unter die Kontrolle weniger Großkonzerne, einschließlich drastischer Einschränkungen für lokale Gewerbetreibende.
Schon Jahre vorher wird die gesamte Stadtentwicklung auf das Ereignis ausgerichtet, bei weitgehend eingeschränkter demokratischer Einflussnahme. Die Folge sind steigende Mieten und Verdrängung, weitere Flächenversiegelung und der Verlust öffentlicher Räume. Auch "die Wirtschaft" profitiert zum großen Teil nicht, von den Milliardenumsätzen bleibt nur ein Bruchteil bei wenigen großen Playern vor Ort. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich daran irgendetwas geändert hätte.
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Eine deutsche Olympiabewerbung für 2036, hundert Jahre nach den Propagandaspielen der Nazis, ist unerträglich!
Vergangenheitsbewältigung und Weltoffenheit als Marketingstrategie zu nutzen, also gewissermaßen damit zu werben, keine Nazis (mehr) zu sein, ist anmaßend und zynisch.